Die Spezielle Relativitätstheorie – Teil 3 (Zeitdilatation) |
Jan schreibt:
Nun werden wir die wohl kuriosesten Effekte der Speziellen
Relativitätstheorie kennen lernen. Sich vorzustellen, dass es so was
wirklich gibt, ist wirklich schwer. Denn wir werden es so wohl nie
selber erfahren. Aber egal, schauen wir doch mal, was es für Effekte
sind (in diesem Artikel: Zeitdilatation):
Wie wir ja jetzt wissen, lassen sich Ereignisse in ihrer Reihenfolge
vertauschen, solange sie nicht voneinander abhängen könnten. Also ich
kann nicht zuerst gegen die Straßenlaterne gefahren sein, bevor ich
nicht eingestiegen bin. Außer ich würde mich Überlichtgeschwindigkeit
fahren können, dann würde ich aber so schnell sein, dass die Zeit für
mich rückwärts geht. Aber wir wissen ja, dass man nicht mit
Überlichtgeschwindigkeit fahren kann. „Hey, du hast grad was gesagt von
»Zeit rückwärts laufen«. Wieso denn das?“ Ja genau, so soll es sein
nach der Einstein’schen Theorie.
Es ist Sonntag. Wir sitzen mit
einem Freund bei mir im Garten (natürlich unter einem Schirm) und wir
reden grad über das schlechte Wetter. Dann kommen wir auf die Idee ein
wettrennen mit unseren Raumschiffen zu machen. Gesagt, getan. Wir
steigen ein und fliegen in den Weltraum. Wir haben uns eine imaginäre
Rennbahn ins All gemalt. Und los geht’s! Doch leider macht mein
Raketenmotor nicht mehr mit. Wir bleibe stehen und unser Freund saust
los. Ganz zufällig hat jeder eine Uhr dabei, die vorher genau
synchronisiert wurden. Unser Freund hat aber zufällig eine ganz
spezielle Uhr: Sie besteht aus zwei parallel zueinander gerichteten
Spiegel, zwischen denen ein Lichtblitz hin und her hüpft. Die Spiegel
sind so angeordnet, dass der Lichtblitz senkrecht zur Fahrtrichtung des
Raumschiffes sich bewegt. Die zwei Spiegel befinden sich genau ein
Meter auseinander. Wir wissen ja, dass die Lichtgeschwindigkeit rund
300.000.000 Meter pro Sekunde schnell ist, also wird der Lichtblitz 300
Millionen mal pro Sekunde da hin und her hüpfen. Oder anders gesagt:
Der Lichtblitz braucht eine 300 Millionstel Sekunde für einen Meter,
also einmal von dem unteren Spiegel zum Oberen. Und dieser Lichtblitz
dient jetzt als Taktgeber einer Uhr (manche haben Quarzuhren, manche
halt Lichtuhren). Aber jetzt müssen wir schon unterscheiden: So sieht
es unser Freund, der sich mit der speziellen Uhr zusammen bewegt. Also
bei ihm hüpft der Lichtblitzball immer senkrecht hoch und runter und
braucht eine 300 Millionstel Sekunde für einen Meter.
Wir stehen
ja und er saust mit seinem Raumschiff durchs All. Jetzt schauen wir mal
seine Uhr an. Aber was ist das? Wir sehen seinen Lichtblitz nicht
senkrecht hoch und runter sausen, sondern schräg?!
Das müsste ja
jedem klar sein warum? Wenn nicht, dann könnt ihr folgendes, kleines
Experiment zu Hause nach machen: Holt euch eine(n) Helfer(in) und einen
Ball oder Gegenstand. Euer Helfer soll nun still stehen und den
Gegenstand hochwerfen. Ok. Der Gegenstand fliegt senkrecht hoch und
wieder runter. Jetzt soll aber der Helfer mal laufen und dabei den Ball
hochwerfen. Von euch aus gesehen ist die Flugbahn des Gegenstandes
schräg. Euer Helfer sieht die Flugbahn aber anders, nämlich senkrecht.
Und
das gleiche sehen wir ja jetzt bei unserem Freund im Raumschiff mit dem
Lichtblitz. Jetzt würde man ja sagen: „Na und? Was ist daran so
besonders?“ Das Besondere ist, dass wir einen Lichtblitz betrachten.
Und wie wir aus dem vorigen Artikel wissen, ist die
Lichtgeschwindigkeit immer und überall gleich! Egal ob ich auf die
Lichtquelle zulaufe oder wegrenne. Die Lichtgeschwindigkeit ist immer
gleich. Deswegen ist sie ja auch eine Konstante.
Und durch dass
der Lichtblitz ja nun von meinem Raumschiff aus schräg zu sehen ist,
muss der Lichtblitz einen längeren Weg zurücklegen mit gleicher
Geschwindigkeit. Das würde ja bedeuten… aber kann das sein? Das würde
bedeuten, dass im Raumschiff unseres Freundes die Zeit langsamer gehen
müsste, relativ zu unserer Zeit.
Warum denn jetzt noch mal? Der
Lichtblitz dient ja als Taktgeber für die Uhr in dem anderen
Raumschiff, dass sich bewegt, relativ zu unserem. Und eine Sekunde sind
300 Millionen Reflektionen an den Spiegeln. Also erst nachdem das Licht
300.000.000 mal hin und her gehüpft ist, geht der Zeiger in dem
Raumschiff meines Freundes um eine Sekunde weiter. Wie wir aus dem
kleinen Experiment wissen, dass ich oben beschrieben habe, wird unser
Freund den Lichtblitz so sehen, dass er sich senkrecht hoch und runter
bewegt. Ganz normal eben, wie erwartet. Denn unser Helfer hat ja auch
den Gegenstand senkrecht hoch und runter fliegen sehen. Aber wir sehen
den Lichtblitz schräg hüpfen, wie im Experiment. Weil wir eben relativ
zum Raumschiff unseres Freundes stehen. Und so war es ja auch im
Experiment: Wir haben gemeint, dass der Gegenstand schräg fliegt. Und
da nun die Lichtgeschwindigkeit überall gleich ist, muss der Lichtblitz
von uns aus gesehen eine längere Strecke bei gleicher Geschwindigkeit
zurücklegen. Und die Uhr ist ja nun so konstruiert, dass der Zeiger
erst dann um eine Sekunde weiter geht, wenn der Lichtblitz 300
Millionen mal hin und her gehüpft ist. Also muss die Zeit bei unserem
Freund im Raumschiff langsamer gehen, relativ zu unserer Zeit.
Jetzt
könnte man ja meinen, dass es eben an dieser speziell gebauten Uhr
liegt. Aber nein, das ist ein reines Zeitphänomen. Nicht nur die Uhr
mit Lichtblitz als Taktgeber geht bei dem Raumschiff unseres Freundes
langsamer, sondern alles! Auch die biologischen Prozesse gehen
langsamer, einfach alles! Und mit alles auch radioaktiver Zerfall. Aber
wieder aufpassen: Die Zeit im Raumschiff unseres Freundes geht relativ
zu unserem Raumschiff langsamer. Und der Grund ist, dass sich unser
Freund relativ zu uns bewegt.
Und diesen Effekt nennt man
„Zeitdilatation“. Und jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob man die
Größe der Zeitdehnung oder Verkürzung berechnen kann. Ja, das kann man
natürlich berechnen. Und so mancher wird sich wahrscheinlich schon
seine Gedanken gemacht haben. „Hm… senkrecht…schräg…hm… ein
Meter…Geschwindigkeit…hm…AHA!“ Genau. Aha. Es geht eigentlich gar nicht
so schwer. Man braucht nur den Satz des Pythagoras.
Für alle, die keine Lust auf Mathe haben, sollten dann nach dem Umrahmten Text weiter lesen.
Also,
machen wir ein bisschen Mathe. Wir haben eigentlich schon alles aus dem
Gedankenexperiment mit den zwei Raumschiffen, was wir brauchen.
Malen wir uns mal die Strecke auf, die unser Freund sieht, die der Lichtblitz zurücklegt (Abb. 1). Die Länge der Strecke sfreund ist die Zeit tfreund mal der Geschwindigkeit cfreund (sfreund=tfreund*cfreund) Und
jetzt schauen wir uns mal an, wie wir den Lichtblitz hüpfen sehen (Abb.
2). Unser Freund bewegt sich mit einer Geschwindigkeit vwir=xwir/twir vorwärts. Also geht er mit xwir=vwir*twir vorwärts. Und der Lichtblitz legt von uns aus gesehen eine Strecke von swir=cwir*twir
zurück. Und wie wir in Abb. 3 sehen, hat man ein rechtwinkliges Dreieck
und man kann folgende Formel mit Hilfe des Satz des Pythagoras
(a²+b²=c²) aufstellen:
(cwir*twir)²=(cfreund*tfreund)²+(vwir*twir)²
Da wir ja wissen, dass die Lichtgeschwindigkeit immer gleich ist, können wir die Formel ein bisschen vereinfachen:
(c*twir)²=(c*tfreund)²+(vwir*twir)²
Und jetzt lösen wir mal schnell die Formel nach tfreund auf:
(c*twir)² | = | (c*tfreund)² + (vwir*twir)² | | -(c*twir)²; -(c*tfreund)²; *(-1) | (c*tfreund)² | = | (c*twir)² - (vwir*twir)² | | /c² | (tfreund)² | = | (c²*(twir)² - (vwir*twir)²)/c² |
| (tfreund)² | = | (twir)² - (vwir*twir)²)/c² |
| (tfreund)² | = | (twir)² * (1 - (vwir)²/c²) | | wurzel() |
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| tfreund | = | twir*wurzel(1 - (vwir/c)²) |
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[Anmerkung: Die Geschwindigkeit heißt deswegen vwir, weil die Geschwindigkeit aus unserer sicht genommen werden soll]
So,
jetzt schauen wir mal, wie lang eine Sekunde bei unserem Freund im
Raumschiff ist, aus unserer Sicht. Noch mal kurz: Aus unserer Sicht
verläuft der Lichtblitz schräg, da sich unserer Freund ja mit seinem
Raumschiff relativ zu uns bewegt. Aber unser Freund sieht in seinem
Raumschiff den Lichtblitz natürlich senkrecht zur Flugrichtung hin und
her hüpfen. Da wir den Lichtblitz schräg entlang fliegen sehen, aber
die Lichtgeschwindigkeit immer gleich ist, muss der Lichtblitz einen
längeren Weg bei gleicher Geschwindigkeit zurücklegen. Also geht bei
ihm die Zeit relativ zu uns, langsamer. Es kommt uns so vor, dass
bei unserem Freund eine Sekunde »1/wurzel(1-(v/c)²)« lang ist, wenn er
mit einer Geschwindigkeit v unterwegs ist. Und nun sehen wir, dass es
für unser Alltagsleben völlig egal ist, dass die Relativitätstheorie
existiert. Denn bei so kleinen Geschwindigkeiten, wie 120 Km/h, oder im
Flugzeug rund 800 Km/h, ist der Bruch (v/c)² fast genau Null. Und damit
ist die Wurzel dann auch 1. Erst bei Geschwindigkeiten nahe der
Lichtgeschwindigkeit, macht sich dieser Zeitdehnungseffekt bemerkbar. Damit
ihr mal ein bisschen rumrechnen und verschiedenes ausprobieren könnt,
habe ich euch einen kleinen Rechner programmiert. Den könnt ihr ausprobieren.
Und
nun hatte ich ja gesagt, ganz am Anfang dieses Artikels, dass wenn ich
mit meinem Auto mit Überlichtgeschwindigkeit fahren würde, für mich die
Zeit rückwärts gehen würde. Und warum? Schauen wir uns noch mal den
Bruch (v/c)² an: Wenn v genau c ist, dann ist (v/c)²=1 und damit das
Ergebnis der Subtraktion in der Wurzel gleich 0. Das würde heißen, dass
die Zeit still stehen würde. Und wenn nun v größer als c ist, dann wäre
der Inhalt der Wurzel im Negativen Bereich. Und dafür gibt es keine
Lösung bei den reellen Zahlen.
Es ist wirklich schwer
vorstellbar, dass die Zeit an jedem Ort mit einer anderen
Geschwindigkeit geht. Und das ist wohl auch der tollste Effekt der
Speziellen Relativitätstheorie. Aber es hat jedoch schon über 60 Jahre
gedauert, bis endlich mal die Theorie von Einstein experimentell
bewiesen werden konnte.
1971 war es endlich soweit. Die
Atomuhren waren schon so genau, dass man die Zeitdilatation bei einem
ganz gewöhnlichen Transatlantikflug messen konnte. Und dafür wurden für
zwei Flüge jeweils vier Sitze reserviert. Zwei für insgesamt vier
Atomuhren und zwei, für die Forscher Richard Keating vom US Naval
Observatory und Joseph C. Hafele von der Washington University in St.
Louis.
Bevor die zwei Forscher die vierzig Stunden langen Flüge
antraten, synchronisierten sie ihre Reise-Atomuhren mit Atomuhren in
ihrem Institut. Jetzt müssen wir uns das ganze hier mal anschauen: Die
Erde dreht sich ja. Das Institut befindet sich wohl auf der Erde. Also
geht die Atomuhr schon mal langsamer, als eine Uhr auf dem Nord- oder
Südpol. Wenn sie nun mit dem Flugzeug Richtung Osten fliegen, dann sind
sie schneller als die Atomuhr, da sie ja in Richtung der Erdrotation
sich bewegen. Wenn sie nach Westen fliegen, sind sie langsamer, als die
Atomuhr im Institut, da sie ja entgegen der Erdrotation sich bewegen.
Und
siehe da: Die zwei Forscher haben tatsächlich einen Zeitunterschied
gemessen! Beim Ostflug ging die Uhr, die geflogen ist, um 59
Milliardstel Sekunden nach, relativ zu der Uhr im Institut. Und beim
Westflug ging die Uhr um 273 Milliardstel Sekunden vor. Und somit wurde
die Spezielle Relativitätstheorie mit einer Genauigkeit von 8%
bestätigt.
Man sollte aber wohl bei diesem Experiment auf eine
Kleinigkeit hinweisen: Die Spezielle Relativitätstheorie gilt ja nur in
gleichförmig sich bewegten Systeme, also keine beschleunigten Systeme.
Und wenn man sich nun die Strecke des Flugzeuges anschaut, fliegt er ja
eine Kreisbahn um die Erde und keine Gerade. Also hat man die
Flugstrecke in viele kleinen Geraden, so genannte „Polygonzüge“,
unterteilt, auf die man wieder die Formel der Speziellen
Relativitätstheorie anwenden konnte.
Wir wissen nun also, dass
die Zeitdilatation ein Effekt der Zeit ist. Also Altern auch
Astronauten, die z.B. zum Mond fliegen, langsamer, als wir auf der
Erde. Aber da die Geschwindigkeiten eben so klein sind, ist dieser
Effekt für uns nie sichtbar geworden. Die Apollo-Astronauten sind auf
ihrer acht Tage langen Reise zum Mond und wieder zurück grad mal zehn
Millionstel Sekunden jünger als wir. Aber es gibt ein anderes, schönes
Beispiel, das man hier erwähnen sollte.
Bei dem Beispiel handelt
es sich im Myonen. Das Myon ist eines der Elementarteilchen und gehört
zu der Klasse der „Leptonen“. Verwand ist das Myon mit dem Elektron und
hat damit auch eine negative Ladung. Allerdings ist dieses Teilchen
deutlich schwerer als ein Elektron, hat aber eine Halbwertszeit von
grad mal eineinhalb Millionstel Sekunden (die Halbwertszeit gibt an,
ich welcher Zeit die Hälfte der am Anfang vorhandenen Teilchen
zerfallen sind). Und diese Myonen entstehen in rund dreißig Kilometer
Höhe in unserer Atmosphäre durch Protonen, die mit fast
Lichtgeschwindigkeit aus dem Weltraum auf die Luftteilchen Treffen.
Diese Myonen also, rasen dann nach ihrer Entstehung mit nahezu
Lichtgeschwindigkeit auf die Erde zu. Wir wissen ja nun, dass aus Myon
nach 1,5 Millionstel Sekunden ein Myon geworden ist. Und wenn die nun
in dreißig Kilometer Höhe entstehen, sind nach rund 450 Metern schon
die Hälfte der Teilchen zerfallen. Und so geht dass immer weiter. Das
würde bedeuten, dass wir hier Unten kaum solche Teilchen messen
dürften. Aber dennoch misst man Millionen dieser Teilchen. Wie kommt
das? Ah ja, natürlich *AufDenKopfHau*! Die Spezielle
Relativitätstheorie! Die Myonen haben ja eine Geschwindigkeit relativ
zu uns von fast c! Und wenn wir mal kurz nachrechnen, so ist bei 99,9%
der Lichtgeschwindigkeit der Zeitdehnungsfaktor ungefähr 22,366. Und
das heißt, dass erst nach 10.064,7 Metern die Hälfte der Myonen
zerfallen ist. Ahhhh. Jetzt ist uns alles klar (hoffe ich). Und jetzt
schaun wir mal… Aha, bei 99,99999% von c, beträgt der
Zeitdehnungsfaktor ca. 2236,068! Das heißt, dass wenn man einen Ägypter
vor 4000 Jahren in ein Raumschiff gesteckt hätte, dass diese enorme
Geschwindigkeit erreichen könnte, so wäre er grad mal um 1 Jahr, 9
Monate und 13 Tage gealtert in diesen 4000 Jahren! Das ist doch kaum
Vorstellbar, oder?
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Geschrieben von Jan auf Donnerstag, 25.August. @ 22:51:37 CEST
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